Im Kontext der Messung von Eingliederungsindikatoren zu Armut und Ausgrenzung in Österreich erhebt die Statistik Austria auch das Ausmaß der registrierten Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit. Dies erfolgt anhand einer Registerabfrage auf der Grundlage einer Liste von Adressen, an denen obdachlose bzw. wohnungslose Menschen temporär oder dauerhaft untergebracht bzw. via Hauptwohnsitzbestätigung als „obdachlos“ registriert sind. Im Rahmen eines gemeinsamen Projekts von BAWO und Statistik Austria wurde die Datenbasis dieser Registerabfrage nach fachlichen Kriterien überprüft und korrigiert bzw. erweitert.
Das zentrale Projektergebnis ist eine überarbeitete Adressliste, die unter Einbindung der BAWO-Länderknoten rückwirkend für die letzten zehn Jahre aktualisiert und kategorisiert wurde. Anhand dieser Adressliste hat die Statistik Austria die Kennzahlen für die registrierte Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit in der Zeitreihe von 2008 bis 2018 neu berechnet. Die Ergebnisse wurden vor wenigen Tagen im Sozialministerium präsentiert, der Bericht zu den Eingliederungsindikatoren 2018 ist abrufbar unter folgendem Link: Eingliederungsindikatoren 2018
Der BAWO ging es in diesem Projekt um zweierlei: Zum einen eröffnete sich uns dadurch eine einzigartige Chance, einen qualifizierten fachlichen Beitrag zu leisten, um die Datenlage zu Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit in Österreich zu verbessern. Zum anderen war es uns ein Anliegen gleichzeitig auf die eingeschränkte Reichweite der statistischen Erfassung hinzuweisen, indem wir aufgezeigt und – anhand einer Verschränkung der Logik der Registerzählung mit derjenigen der ETHOS-Typologie – konzeptuell klar herausgearbeitet haben, welche Ausprägungen von Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit von der Abfrage abgedeckt werden, und welche nicht.
Aus Sicht der BAWO war das Projekt und die Zusammenarbeit mit der Statistik Austria ein Erfolg auf beiden Ebenen. Die mit den Eingliederungsindikatoren 2018 vorgelegten Daten zur registrierten Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit messen diese Phänomene so exakt wie nie zuvor. Was die statistisch „untererfassten“ Ausprägungen von Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit betrifft, wurde uns seitens der Statistik Austria zudem ermöglicht, dass ein speziell darüber angefertigter BAWO-Zusatzbericht zusammen mit dem eigentlichen Projektbericht ans Sozialministerium übermittelt wurde. Darin haben wir am Beispiel dreier Bundesländer (Vorarlberg, Salzburg, Wien) aufgezeigt, welche mit den ETHOS-Kategorien „Obdachlosigkeit“ und „Wohnungslosigkeit“ klassifizierten Wohnversorgungsprobleme von der Registerabfrage nicht erfasst sind, und in einer ersten Annäherung sichtbar gemacht, von welcher Größenordnung diese Dunkelfelder sind. Daran anknüpfend haben wir einige Überlegungen skizziert, wie sich die Datenlage zu Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit in Österreich aus unserer Sicht noch weiter verbessern ließe.
Die BAWO setzt sich auch weiterhin dafür ein, die Datenlage zu Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit zu verbessern. Denn die Ausrichtung von (politischen) Maßnahmen zur Verringerung von Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit wird besser nachvollziehbar und wirkungsvoller, wenn eine realistische Datenlage über das Ausmaß und die Ausprägung von Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit und prekärer Wohnversorgung vorliegt.
Zum einen ginge es darum, die Abdeckung der statistischen Erfassung von registrierter Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit zu erhöhen, indem die derzeit untererfassten Ausprägungen ebenfalls erhoben werden, um ein noch umfassenderes Bild dieser Phänomene zu liefern. Zum anderen ist aus unserer Sicht dringend angezeigt den Blick zu weiten auf verschiedene Formen mangelhafter Wohnversorgung („ungesichertes Wohnen“ und „ungenügendes Wohnen“ nach ETHOS), wie dies in Österreich bereits im Kontext einiger Wohnungslosen- und Wohnbedarfserhebungen geschieht (Salzburg, Vorarlberg; aktuell: Klagenfurt), jedoch ausgerollt auf Bundesebene. Ein Best Practice Beispiel dafür stellt die regelmäßige Darstellung der Betroffenheit in den nordischen Ländern dar. Die finnischen statistischen Zahlen zeigen beispielsweise, dass 65% der betroffenen Menschen temporär bei Familie oder Freunden unterkommen („couchsurfing“, versteckte Wohnungslosigkeit). Diese Personengruppe zu erfassen fördert, sie bei der Konzeption von (politischen) Maßnahmen und Unterstützungsangeboten stärker mitzudenken und insbesondere Maßnahmen für leistbares, dauerhaftes und inklusives Wohnen zu setzen. Die finnischen Berichte sind online abrufbar unter folgendem Link: Homlessness in Finland