Vom Krisenmanagement der Covid 19-Pandemie für die Zukunft lernen: Obdach- und Wohnungslosigkeit jetzt strukturell bekämpfen
Die BAWO hat Mitte März Sofortmaßnahmen vorgeschlagen, um die Situation für Menschen in einer Phase von Obdach- und Wohnungslosigkeit zu entschärfen (siehe https://bawo.at/aktuelles), und begrüßt, dass insb. folgende Maßnahmen umgesetzt wurden:
- Maßnahmen zur Prävention von Wohnungslosigkeit, wie z.B. zur Vermeidung von Delogierungen (insb. Delogierungsstopp)
- Maßnahmen, um ein Nächtigen auf der Straße zu vermeiden (insb. Verlängerung des Winterpakets, also des diskriminierungsfreien Zugangs zu Nächtigungsangeboten)
- Maßnahmen, um das Einhalten der Covid 19 Maßnahmen in einer Phase von Obdach- und Wohnungslosigkeit zu ermöglichen (insb. erweiterte Öffnungszeiten der Notschlafstellen)
Allerdings ist anzunehmen, dass Obdach- und Wohnungslosigkeit aufgrund der derzeitigen Entwicklungen ansteigen werden. In den Folgejahren nach der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 hat sich die Kennzahl „registrierte Obdach- und Wohnungslosigkeit“ innerhalb von 5 Jahren um ein Drittel erhöht.[1]
Deshalb weist die BAWO die Bundesregierung darauf hin, dass nun umfassende Maßnahmen notwendig sind, um eine nachhaltige Verschlechterung der Lebensbedingungen von derzeit obdach- und wohnungslosen Menschen zu vermeiden, eine Chronifizierung der Notlage Wohnungslosigkeit zu verhindern und einem Anstieg der Anzahl von Betroffenen entgegenzuwirken. Dazu sind Maßnahmen in Bezug auf Wohnen, Gesundheit, Einkommen und Teilhabe notwendig.[2]
Härtefallfonds zur Wohnungssicherung
- Wir schlagen vor, einen bundesweiten Härtefallfonds – analog zum Härtefallfonds für UnternehmerInnen – zu installieren, der für armutsgefährdete Menschen mit hoher Wohnkostenbelastung Zuschüsse gewährt. Die Statistik Austria hat 2019 in ihrer Publikation zu „Wohnen“ dargestellt, dass armutsgefährdete Haushalte im Durchschnitt 37% ihres Einkommens für Wohnen ausgeben und damit mehr als Doppelte der Gesamtbevölkerung.[3] Wir schlagen daher vor, dass Haushalte, die mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Wohnen ausgeben müssen und laut Definition der Statistik Austria armutsgefährdet sind, von diesem Härtefallfonds nicht rückzahlbare Zuschüsse in der Höhe von 50% für die Dauer von einem Jahr erhalten, um einen sonst drohenden Wohnungsverlust zu vermeiden. Der Zugang zu diesem Härtefallfonds muss unbürokratisch möglich sein und allen Mieterinnen und Mieter ohne Zugangsbeschränkungen offenstehen.
Wohnen
- Menschen mit einem befristeten Mietvertrag haben eine geringe Wohnsicherheit. Unbefristete Mietverhältnisse sollten wieder die Regel, die Möglichkeit zu befristen als Ausnahme definiert werden.
- Die Miethöhe ist wirksam zu begrenzen.
- Instrumente der subjektiven Wohnbauförderung, z.B. Wohnbeihilfe, müssen so ausgebaut werden, dass Haushalten mit niedrigem Einkommen ausreichend Mittel für die Deckung des Lebensbedarfes übrigbleiben.
- Instrumente der objektiven Wohnbauförderung im Bereich der Gemeinnützigkeit müssen ausgebaut werden, um das Angebot an leistbarem Wohnen zu erhöhen.
- Restriktive Zugänge für Drittstaatenangehörige beim Zugang zum leistbaren (geförderten) Wohnbau, Wohnbeihilfe und Sozialhilfe (wie z.B. in OÖ) sind unmittelbar zu beseitigen.
Hilfen für obdach- und wohnungslose Menschen
- Für alle Betroffenen ist der ganzjährige Ganztagesbetriebes von Notschlafstellen – mit adaptierten Standards zur Einhaltung von Abstands-, Schutz- und Hygienemaßnahmen – sicherzustellen und es sind ausreichend Tageszentren anzubieten.
- Angebote im Bereich der mobilen psychosozialen Unterstützung (z.B. in Form des modellhaften Angebots von Housing First) müssen — ergänzt durch einen bedarfsdeckenden Zugang zu leistbarem Wohnen — ausgebaut werden.
Gesundheit und soziale Teilhabe
- Eine niedrigschwellige Gesundheitsversorgung für alle Menschen, unabhängig von Versicherung, Erwerbsarbeitsmarktstatus und Staatsbürgerschaft ist sicherzustellen.
- Das Recht auf Schutz vor Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit sowie das Recht auf Wohnen sollen als vorrangige soziale Grundrechte in der Verfassung verankert werden.
Einkommen
- Die Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes muss erhöht werden. Ein Arbeitsplatzverlust wird sonst zu einer existenzbedrohenden Krise.
- Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz muss als erste und zentrale Ziele die Bekämpfung und Vermeidung von Armut sowie von sozialer Ausschließung formulieren. Die Mindestsicherung/Sozialhilfe ist auf ein armutsfestes Niveau anzuheben. Diskriminierende Regelungen müssen zurückgenommen werden und Staatsbürgerschaft, Aufenthalts- bzw. Meldedauern sowie Deutschkenntnisse o.ä. sollen keine Kriterien für den Anspruch darstellen.
In jeder Krise liegt auch die Chance auf Veränderung. Jetzt hat Bundesregierung die Möglichkeit, die Weichen zu stellen, um Obdach- und Wohnungslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen. Jetzt gilt es „Wohnen für alle, leistbar, dauerhaft, inklusiv“ zu verwirklichen. Jetzt können wir gemeinsam für die Zukunft vorbauen und das Menschenrecht Wohnen verwirklichen.
Elisabeth Hammer
Obfrau der BAWO
Alexander Machatschke
Geschäftsführung der BAWO
Eine PDF-Version des Textes finden Sie hier
[1] 2008 waren 9.297 Menschen registriert obdachlos, der Höchstwert wurde 2013 mit 15.053 Menschen verzeichnet. Die Summe registriert obdach- und wohnungsloser Menschen lag 2008 bei 16.844 Menschen, im Jahr 2013 bei 24.459, im Jahr 2018 bei 22.741 Menschen. BMASGK (2019a) S. 25.
[2] Umfassende Ausführungen sowie eine Kontextualisierung der Forderungen finden Sie im aktuellen BAWO Positionspapier, downloadbar unter: BAWO Positionspapier
[3]http://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_NATIVE_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=120883